Samstag, 16. Juli 2016

Panzer, Politik, Poesie: Ortenau Reportagen stellt Zweierpasch vor



Von der Ukraine bis zu Joachim Gauck. Von Freestyle-Sessions zu Rap-Märchen. Sina Weneit stellt im einem ausführlichen Artikel für das Magazin Ortenau Reportagen das deutsch-französische Rap- und Bildungsprojekt Zweierpasch vor.

Grenzenloses 2erPASCH

Ein Hip-Hop-Duo rappt auf Deutsch als „Zweierpasch“ und auf Französisch als „Double Deux“ für das bessere Verstehen über die Grenzen hinweg.

Von Sina Weneit

Es fühlt sich ein wenig skurril an, als die Zwillingsbrüder Till und Felix Neumann im Oktober 2015 den ersten Blick aus ihrem Zimmer im Kozatskiy-Hotel im Herzen von Kiew werfen. Zu ihren Füßen liegt der Majdan – der Unabhängigkeitsplatz, der 2014 Schauplatz blutiger Gewaltaktionen zwischen der ukrainischen Polizei und regierungskritischen Demonstranten wurde. Mehr als 70 Menschen kamen dabei ums Leben. „Heute spazieren dort wieder entspannt Menschen über den granitgepflasterten Platz“, erzählt Felix.

Auf dem Weg zum Kulturzentrum Partkom, in dem während der Maidan-Revolution Verletzte spontan notversorgt wurden, begegnen die Zwillinge Panzern und bewaffneten Soldaten; die Krise, der Krieg, sind noch zu spüren. An Straßenküchen werden Kaffee und Mittagessen zum Schleuderpreis angeboten und als Souvenir kann man Toilettenpapier mit Putins Konterfei erstehen. Till und Felix machen ein Foto, veröffentlichen es zusammen mit anderen Eindrücken auf Facebook – zu gewagt, findet ihre prorussische Reisebegleiterin. „Wir haben uns dennoch entschieden, es nicht zu löschen“, sagt Till.

Im Partkom werden die Brüder schon von Schlagzeuger Costa und Pianist Sasha erwartet. Zusammen mit den beiden Ukrainern werden sie in nur drei Tagen und trotz erheblicher Sprachbarrieren ein einstündiges Konzert einstudieren, das sie anschließend in drei Städten der Ukraine performen sollen. Das Goethe-Institut in Kiew und das Institut Française hatten das Duo „Zweierpasch“ für das Musik-Projekt engagiert. Ihre deutsch-französischen Hip-Hop-Songs sollen vor allem Jugendliche begeistern und den europäischen Gedanken des freundschaftlichen Miteinanders vermitteln. Die im Anschluss stattfindenden Rap-Workshops sollen Barrieren abbauen – sprachliche, gesellschaftliche, kulturelle. Dass Verständigung auch gelingt, wenn Menschen nicht dieselbe Sprache sprechen, zeigt sich dabei eindrücklich, wie die Brüder drei Monate später, immer noch euphorisiert, berichten. „Songs können Grenzen überwinden.

Gemeinsam Musik zu machen verbindet die Menschen und baut so Brücken zwischen den Kulturen“, erklärt Felix Neumann das Konzept hinter ihren Projekten. In der Ukraine haben sie ein Zeichen für Völkerverständigung gesetzt – mit Musik als Schlüssel zum gegenseitigen Verstehen.

Till und Felix Neumann passen nicht in die typische Rapper- Schublade. Nach dicken Autos, Geld und Frauen sucht man in den Texten der 32-Jährigen vergeblich. „Party-Rap ist uns zu wenig“, sagen die beiden. Musik ohne Message auch. Ihre Ansprüche an die eigenen Songs sind hoch – die Themen haben Tiefgang: Es geht um Kinderrechte, Flüchtlinge, Völkerverständigung und ein friedliches Europa. Ihre Songs heißen „Grenzgänger“, „Friedenstauben“ oder „Kleine Helden“ und werden inzwischen deutschlandweit zur spielerischen Sprachförderung im Französischunterricht eingesetzt. „Reflektierten Hip-Hop“ – wie es ihn in der Szene kaum noch gäbe – nennt ihr Label-Chef Sandro De Lorenzo die Arbeit von Zweierpasch. Seit ihrem ersten Album „Alle guten Dinge sind zwei“ im Jahr  2013 sind sie bei dem Berliner Label Rummelplatzmusik unter Vertrag. Die pädagogische und politische Ausrichtung, kombiniert mit den zweisprachigen Hip-Hop-Texten, ist so einzigartig, dass sie den Musikern schon viele Türen geöffnet hat. „Unsere Arbeit führt uns eher in Krisengebiete als auf die Partybühne. Aber ich fliege eh lieber in die Ukraine oder nach Mauretanien als nach Teneriffa“, sagt Felix. Erstaunlich bei dem ganzen Engagement und Erfolg: Die Musik ist nur ihr Nebenjob. Felix koordiniert hauptberuflich Bildungsprojekte, Till ist Journalist.

„Zweierpasch“ stemmen sie nebenbei und in ihrer Freizeit. Das geht an die Substanz. „Nach der Ukrainetour war ich echt am Limit“, sagt Till. Einer ihrer größten Momente bisher war eine Audienz samt Live-Auftritt im Schloss Bellevue vor Bundespräsident Joachim Gauck anlässlich der Verleihung eines Geschichtspreises im Jahr 2013. „Das war eine Ehre, die wir uns natürlich nie erträumt hatten“, schwärmt Till. „Ich habe natürlich gleich den Fauxpas begangen und unseren  Bundespräsidenten mit ‚Hallo, Herr Gauck‘ begrüßt“, erzählt Felix lachend. Die Begeisterung für deutschen Hip-Hop hat die Brüder aus Adelsheim in Nordbaden schon früh gepackt. Mit 15 Jahren probieren sie sich bei Freestyle-Sessions im Freundeskreis aus und machen erste Aufnahmen. Erst nur auf Deutsch. „Wenn man die ersten Reime kickt, ist alles noch Freestyle. Man rappt über das Rappen an sich, über das Feeling. Da hat man noch keine tiefgehenden thematischen Ziele“, erzählt Felix von den Anfängen. Für ihr Studium zieht es die beiden nach Freiburg, Till immatrikuliert sich für Sprachwissenschaften, Felix für Politik und Sozialpädagogik. Die Leidenschaft für Musik bleibt ungebrochen, die Zwillinge spielen mittlerweile kleinere Konzerte in Deutschland und Frankreich – damals noch als „Buddah Woofaz“. Victor, ein befreundeter Deutsch-Franzose und selbst Musiker, ermutigt das Duo, auf Französisch zu texten und übernimmt bei ihren Auftritten vorübergehend die Sprechparts. Zusammen machen sie neben dem Studium eine mehrwöchige Ausbildung als deutsch-französische Sprachanimateure – und müssen anschließend ein Langzeitprojekt übernehmen. „Wir sollten etwas machen, was wir gut können. Also haben wir Rap-Workshops für Jugendliche auf Deutsch und Französisch gegeben – und das kam super an.“

Die Zwillinge finden Gefallen an der bilingualen Ausrichtung – und wagen im Januar 2012 den  musikalischen und konzeptionellen Neustart als „Zweierpasch“. Zwei Brüder, zwei Sprachen – und eine Idee: Menschen zusammenbringen mit politisch-poetischen Texten und coolen Sounds. Das Konzept geht auf. Per Mundpropaganda spricht es sich rum. Immer mehr Lehrer wollen mit den Songs ihren Französisch-Unterricht bereichern. Jutta Kury, Französisch-Lehrerin in Emmendingen bei Freiburg, hat die Begeisterung, die von den Songs und Workshops mit „Zweierpasch“ ausgeht, zusammen mit ihren Schülern der elften Klasse miterlebt. „Die beiden stehen für gelebte Zweisprachigkeit Besonders wertvoll sei die Kombination aus Musik und Sprache auch durch ihre Nachhaltigkeit. Die Songs bleiben im Kopf, die Schüler bekommen Lust dazuzulernen. Was Jutta Kury besonders freut: „Nach dem Workshop haben sich ungewöhnlich viele Schüler für ein Französisch-Abitur entschieden.“ Dabei verliert das Fach Französisch in den Schulen Baden-Württembergs stetig an Beliebtheit, die Kinder und Jugendlichen entscheiden sich immer öfter für Spanisch. Trotz – oder wegen – der Nähe zu Frankreich. „Spanisch wirkt exotischer“, vermutet Kury und bedauert diesen Trend, der umgekehrt auch an französischen Schulen zu beobachten ist, wo immer weniger Deutschkurse angeboten werden. Auch Felix ist entsetzt darüber, wie wenige Menschen im deutsch-französischen Grenzgebiet die Sprache und das Land des jeweiligen unmittelbaren Nachbarn kennen.

Mangelndes Verständnis und daraus resultierende Fremdenfeindlichkeit sind nicht nur Phänomene aus fernen Ländern, sondern finden vor unserer Haustür statt. Besonders im direkt an Straßburg grenzenden Kehl fällt das den Brüdern auf. „Ich habe letztes Jahr mit über 120 Klassen im  Eurodistrikt gearbeitet“, sagt Felix. Man spüre dort teilweise echte Ressentiments dem Fremden gegenüber, das Interesse für die Sprache und das Land der eigenen unmittelbaren Nachbarn fehle oft. „Genau dort wollen wir mit unseren Projekten Positives bewirken“, sagen die Rapper. „Denke global, handle lokal!“, lautet ihr Credo.

„Wenn ich mir ansehe, was in Europa gerade für Ideen an Nährboden gewinnen, bekomme ich Angst“, sagt Felix besorgt. Besonders in Zeiten, in denen der rechtsextreme Front National große Zuläufe verzeichnet, in denen rechtsradikale Gruppen wie Pegida Fremdenhass schüren, wollen „Zweierpasch“ ihr Engagement verstärken. „Wenn uns die Geschichte eins gelehrt hat, dann, dass Abschottung nie guttut.“ Die Brüder wissen, dass sie in einer privilegierten Generation aufgewachsen sind. Noch nie hat in Deutschland so lange Frieden geherrscht wie heute. „Aber Frieden ist kein Selbstläufer“, warnt Till. „Man muss ihn bewahren.“

Ihr nächstes Projekt steht schon in den Startlöchern. Mit Rapconte veröffentlichen sie im Februar 2016 ein Album mit gerappten Märchen. Geplant sind eine Tournee und viele Workshops, in denen Kinder und Jugendliche wieder für Sprachförderung begeistert werden sollen. „Wenn man Musik in einer anderen Sprache macht, passiert etwas Magisches. Man vergisst, dass man gerade etwas Schwieriges tut. Man verliert die Scheu, die viele aus dem Sprachunterricht kennen“, sagt Felix. Aber auch für Erwachsene ist das Album etwas. Soundästhetik ist den Rappern extrem wichtig. Ihre Musiksozialisation fand Ende der 90er-Jahre, zur „Golden Era of Hip-Hop“ in Deutschland statt. Mit Max Herre und Jan Delay statt Aggro Berlin und Bushido. Dass sie nicht die klassische  Rap-Zielgruppe ab 14 Jahren ansprechen, ist den Jungs klar – und egal.

„Vielen jungen Leuten, die meiner Meinung nach Scheuklappen aufhaben, sind wir heute nicht genug Rap oder Hip-Hop. Wir beleidigen keine Leute, werfen nicht mit Schimpfwörtern um uns. Das spricht viele einfach nicht an.“ „Zweierpasch“ verarbeiten Themen, die ihnen wichtig sind. Jede Art   von Rap hätte seine Berechtigung – für sie seien Authentizität und Themen die wichtigsten Kriterien. Und so machen „Zweierpasch“ weiter ihr Ding. Eben grenzenlos Hip-Hop.

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